Hinterglasmalerei als Technik der Klassischen Moderne 1905–1955
Ein fächerübergreifendes Forschungsprojekt von Kunsthistorikern, Restauratoren und Naturwissenschaftlern
Kunsttechnologische Untersuchungen
Im Rahmen des Forschungsprojektes war es Aufgabe der Restauratorin für Hinterglasmalerei, Simone Bretz in Garmisch-Partenkirchen, den Arbeitsprozess und die individuellen, bildnerischen Gestaltungsmittel der HinterglasmalerInnen nachzuvollziehen. Kunsttechnologische Untersuchungen von Hinterglasbildern weisen im Vergleich zu Leinwandmalerei den ausgesprochenen Vorteil zweier Betrachtungsmöglichkeiten auf. Von der Vorderseite, durch das Glas hindurch, wurde zunächst die Schauseite analysiert und dokumentiert. Mit dem Ausrahmen der Glastafel und der so freigelegten Rückseitenbemalung konnte bislang „Unsichtbares“ sichtbar gemacht werden. Bei einigen Werken zeigte sich rückseitig ein geradezu verblüffendes Erscheinungsbild, welches zum Teil optisch stark von der Vorderseite abwich. Die visuelle Analyse der Malschicht bei unterschiedlicher Lichtführung im Auf-, Durch- und Streiflicht erlaubte einen tiefgehenden Einblick in den Werkprozess, welcher an 66 Hinterglaswerken fotografisch festgehalten wurde.
Die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschaffenen Objekte spiegeln die unterschiedlichen künstlerischen Umsetzungsverfahren von Hinterglasmalerei wider. Dieses zeigte sich allein schon in der Verwendung des transparenten Bildträgers, der in unterschiedlichen Oberflächenqualitäten eingesetzt wurde. Anlässlich der glastechnischen Untersuchung wurde das Trägermaterial - ob glatt, strukturiert oder gewellt - in Zusammenhang mit den gewählten Malmaterialien und deren Wirkungsweise näher bewertet.
Im Zentrum des kunsttechnologischen Interesses stand die visuelle Analyse der charakteristischen Spuren einer individuellen künstlerischen Handschrift. Konnten gleich mehrere Hinterglasbilder von nur einem Künstler eingehender untersucht werden, waren Entwicklungslinien der über einen längeren Zeitraum geschaffenen Werke auszumachen. Die Verschiedenartigkeit der Malweisen wurde vorrangig im Hinblick auf die Auftragsweise und die optische Wirkung betrachtet: wurde die Malschicht gestrichen, gestrichelt oder gestupft, ist diese nass-in-nass fließend, dünn, dick oder pastos, ein- oder mehrschichtig? Zeigten sich maltechnische Besonderheiten, wie beispielsweise der Einsatz von Bronzefarben, Metallfolien oder Glanzpapieren? Aufschlussreich war auch die Bestimmung der Schichtenabfolge des Farbauftrags sowie der Einsatz von Werkzeugen. Die Verzierung der Glastafel geschah nicht immer nur mit dem Pinsel, kreative Gestaltungselemente erzeugten Fingerkuppe, Stoffläppchen und das Spritzsieb. Auch wurde die getrocknete Malfarbe mit der Radiernadel bearbeitet und nachfolgend übermalt.
Diese genannten Kriterien ergaben einen vertieften Einblick in die maltechnischen Fertigkeiten und Umsetzungen der HinterglasmalerInnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Als unerlässlich erwies sich die Materialanalyse zur Bestimmung der Pigmente, Bindemittel und Metallfolien, welche die kunsttechnologisch-visuelle Interpretation aus naturwissenschaftlicher Perspektive ergänzte und, vor allem durch die Bindemittelanalysen, auch zum besseren Verständnis von Schadensphänomenen beitrug.