Hinterglasmalerei als Technik der Klassischen Moderne 1905–1955
Ein fächerübergreifendes Forschungsprojekt von Kunsthistorikern, Restauratoren und Naturwissenschaftlern
Kunstwissenschaftliche Aufarbeitung
Im Rahmen einer Promotion von Diana Oesterle am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München, betreut von Prof. Dr. Burcu Dogramaci, erfolgte ein Überblick über die in der Zeitspanne von 1905 bis 1955 entstandenen Hinterglaswerke. Ziel dieser kunstwissenschaftlichen Untersuchung ist es, zum einen die Verknüpfung von Avantgarde, Technik und Material im Kontext der Hinterglasmalerei sowie materialästhetische Besonderheiten bei der Herausbildung neuer Bildkonzepte zu untersuchen. Zum anderen gilt es als langfristiges Ziel, die Hinterglasmalerei in der Kunstgeschichte zu etablieren und einer vergessenen oder verdrängten Kunst und ihren Akteuren zur Sichtbarkeit zu verhelfen.
Im Fokus der Untersuchung steht die Bedeutung der Hinterglasmalerei als Ausdrucksmedium modernen Kunstschaffens und die Verknüpfung der Hinterglasmalerei mit den gesellschaftlichen, technischen und ideengeschichtlichen Entwicklungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es lässt sich eine Bedeutungsverschiebung des Materials Glas zwischen der ersten und zweiten „künstlerischen Welle“ der modernen Hinterglasmalerei zwischen 1905 und 1955 feststellen, welche auch die Verwendung des Glases als Bildträger bedingt hat.
Die Moderne war geprägt von Umbrüchen und Umformulierungen des traditionellen europäischen Tafelbildes, von der Aufwertung des Kunsthandwerks, Grenzüberschreitungen zwischen den Gattungen und Künsten und bemüht um integrative Konzepte. Allein die Tatsache, dass Künstler die Hinterglaswerke zu ihrer Entstehungszeit gleichwertig neben den vermeintlich höherstehenden Gattungen ausstellten, spricht für sich. Die Anwendung dieser unkonventionellen Praxis Anfang des 20. Jahrhunderts hing zum einen mit der Aneignung regionaler Traditionen und der Aufwertung des Kunsthandwerks, beispielsweise durch die Künstler des „Blauen Reiter“ im Alpenvorland, als auch mit der Material-Experimentierlust der Avantgarden und deren Interesse für „neue“, nicht dem akademischen Kanon zugeordneten Werkstoffen zusammen, welche Freiraum zum Experimentieren boten. Daneben gilt es, die Intentionen und Strategien der Künstler und der jeweiligen Umsetzung als Hinterglaswerk zu hinterfragen. Im 20. Jahrhundert finden häufig Maler, die sich im Laufe ihres Schaffens mit der Darstellung des Lichtes, Transparenz, Farbwerten und Tonalitäten auseinandersetzten, temporär oder langfristig zur Hinterglasmalerei. Formvereinfachung, Schematisierung und die Expressivität der reinen Farbe konnte hier zum Ausdruck gelangen.
Die Auswahl der behandelten Künstler und Kunstwerke erfolgte nach bestimmten Kriterien, wie der Umfänglichkeit des Hinterglasbild-Œuvres, einer innovativen Technik oder der Bedeutung der Hinterglasbilder an einer „Schnittstelle“ im künstlerischen Schaffen.
Vierzig Jahre nach den ersten Werkmonographien und Rezensionen der 1960er- und 1970er-Jahre und einer Vielzahl weiterer Publikationen hat somit ein neuer Aspekt der sogenannten Klassischen Moderne Beachtung gefunden, der andere als die bislang thematisierten Anhaltspunkte der künstlerischen Entwicklung der Hinterglasmaler freilegte. Das Potential, das diese Technik für die Künstler zwischen 1905 und 1940 entfaltete, steht im umgekehrten Verhältnis zu seiner bisherigen Vernachlässigung durch die Kunstgeschichte.