Hinterglasmalerei als Technik der Klassischen Moderne 1905–1955

Ein fächerübergreifendes Forschungsprojekt von Kunsthistorikern, Restauratoren und Naturwissenschaftlern

Materialanalysen

Auf dem Gebiet der Materialidentifizierung von Farb- und Bindemitteln an Hinterglasbildern liegen seit etwa 15 Jahren Erfahrungen von Seiten der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin und des Doerner Instituts der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, München vor. Der Fachbereich 4.5 „Kunst- und Kulturgutanalyse“ der BAM besitzt eine ausgewiesene Expertise in der zerstörungsfreien Analyse von Künstlermaterialien mit einem Schwerpunkt in der Hinterglasmalerei. Auch am Doerner Institut wurden in verschiedenen Restaurierungs- und Forschungsprojekten materialanalytische Vorarbeiten an Hinterglasobjekten vom Mittelalter bis zur Moderne geleistet. Daneben liegen umfassende kunsttechnologische und materialanalytische Vergleiche auch für die Staffeleimalerei der Klassischen Moderne vor.

Ziel der materialanalytischen Forschung im Projekt der VolkswagenStiftung war die möglichst umfassende naturwissenschaftliche Identifizierung von Farb- und Bindemitteln sowie Metallfolien in den Hinterglasbildern. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war geprägt von einer zunehmenden Fülle an Künstlermaterialien und kommerziellen Farbprodukten, deren genaue Zusammensetzung und Eigenschaften den Künstlern zumeist nicht mehr genau bekannt waren. Die Bindemittel waren dabei noch überwiegend „klassisch“: Da es sich bei der Hinterglasmalerei um eine Kaltmalerei handelt, sind grundsätzlich trocknende Öle oder wasserlösliche Bindemittel wie pflanzliche Gummen, Ei oder tierische Leime zu erwarten. In den 1930er-Jahren hielten jedoch mehr und mehr auch synthetische Bindemittelsysteme in Künstlerfarben Einzug.

Auf dem Gebiet der anorganischen Farbmittel und Füllstoffe wurden neben der traditionellen Palette (z.B. Farberden, gelbe und grüne Chrompigmente, Ultramarinblau oder Zinnober) in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einige neu synthetisierte Substanzen, wie Cadmiumrot oder Titanweiß eingeführt. Auch Metallfolien und moderne Metalleffektpigmente (Bronzefarben) auf Basis von Kupfer, Messing oder dem gerade erfundenen Aluminium hatten in der Hinterglasmalerei der Klassischen Moderne ihren Platz. Die größte Dynamik herrschte auf dem Gebiet der synthetischen organischen Pigmente (SOP), die von der schnellen Entwicklung der Teerfarbenchemie befeuert wurde. Im Laufe des 20. Jahrhunderts kamen laufend neue Teerfarbstoffpigmente auf den Markt; vermutlich sind es einige Hundert, die auch relevant für Malfarben waren. Einige dieser Pigmente wurden auch als preiswerter Ersatz für oder zum Schönen von anorganischen Farbmitteln verwendet und waren aufgrund mangelhafter Haltbarkeit zum Teil nur kurz auf dem Markt. Mangels standardisierter Bezeichnungen war den Künstlern vor 1956 die genaue Farbzusammensetzung oft nicht bekannt.

Um die enorme Fülle an Malmaterialien zu bestimmen, ohne die fragilen Hinterglasbilder zu gefährden, wurde von der BAM zunächst ein mobiler, nicht invasiver methodischer Ansatz gewählt, der aus einer leistungsfähigen Kombination verschiedener elementanalytischer und spektroskopischer Techniken besteht. Dieser typischerweise an 15-20 Messstellen pro Bild ausgeführte Methodenmix aus energiedispersiver Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA), VIS-Spektrometrie in Reflexion (VIS), Fouriertransform-Infrarotspektroskopie in diffuser Reflexion (DRIFTS) und Mikro-Ramanspektroskopie (Raman) erwies sich als äußerst effizient für die Untersuchungen. Insgesamt konnten im Rahmen des Forschungsprojektes 66 Hinterglasbilder zerstörungsfrei analysiert werden.

Generell unterliegen zerstörungsfreie Analysen jedoch Grenzen in ihrer Aussagekraft. Rein nicht-invasive Verfahren ermöglichen keine vollständige Bestimmung der Zusammensetzung der Bindemittel und unterliegen Einschränkungen in der Charakterisierung von Pigmenten. Von neun ausgewählten Hinterglasbildern, die zwischen 1921 und 1956 entstanden, wurden daher im Projekt insgesamt 29 Farbschollen und Schabeproben für ergänzende Laboranalysen am Doerner Institut entnommen. Zur Klärung des Malschichtaufbaus und für weiterführende Pigmentanalysen wurden daraus 21 Querschliffe präpariert, die typischerweise zwei bis drei, zum Teil jedoch auch bis zu sieben Farbschichten aufwiesen. An den Proben wurden lichtmikroskopische Aufnahmen (Normal- und UV-Licht) angefertigt sowie Rückstreuelektronenbilder und Röntgenmikroanalysen mittels Rasterelektronenmikroskopie / energiedispersive Röntgenmikroanalyse (REM/EDX) und Raman-Mikroskopie durchgeführt.

Für detaillierte Bindemittelanalysen wurden die Proben mit verschiedenen Lösemitteln extrahiert und die chemischen Einzelkomponenten des Bindemittelsystems (Öle, Harze, Wachse, Polysaccharide, Proteine) durch die Kombination aus Gaschromatographie/ Massenspektrometrie und Aminosäureanalyse identifiziert. Dieser Ansatz erlaubt auch die Charakterisierung komplexer Mischungen, geringer Nebenbestandteile oder das Erkennen nicht ursprünglicher, moderner Komponenten (z.B. Konservierungsmittel, Weichmacher aus Verpackungen). Diese Bindemittelanalysen wurden am Projektende mit den Ergebnissen der zerstörungsfreien Bindemittelklassifizierung mittels DRIFTS verglichen, um für künftige Untersuchungen deren Möglichkeiten und Grenzen besser auzuloten.